Europäisierung politischer Parteien? Optionen und Restriktionen am Beispiel der Parti socialiste von 1971 bis 2005

Europeanization of political parties? Options and restrictions in the development of the French Socialist Party between 1971 and 2005

  • „Notre parti doit se réconcilier résolument avec le thème européen, qu’il a trop longtemps maintenu sous embargo“ – forderte 2003 beim Kongress der französischen Parti socialiste (PS) ein Debattenbeitrag. Warum, so die Frage der vorliegenden Arbeit, ist es der PS nicht gelungen, sich seit ihrer Neugründung im Jahr 1971 bis zum Referendum über den Europäischen Verfassungsvertrag im Jahr 2005 ohne Widersprüche zu europäisieren? Innerhalb der französischen politischen Parteien bestand über die Ausrichtung des Europäischen Integrationsprozesses niemals ein Konsens. Die PS bestimmte ihre europapolitische Position in Abhängigkeit von inner- und zwischenparteilichen Konflikten. Darüber hinaus wurde der Aufstieg der Front National seit 1984 zum Ausdruck einer neuen Konfliktlinie in der französischen Gesellschaft. Entlang dieser Konfliktlinie spaltete sie sich in diejenigen, die sich äußeren Einflüssen öffnen bzw. verschließen wollten. Der PS wurde in den 1990er Jahren bewusst, dass sie sich mit ihrer (Europa-)Politik von den sogenannten„Notre parti doit se réconcilier résolument avec le thème européen, qu’il a trop longtemps maintenu sous embargo“ – forderte 2003 beim Kongress der französischen Parti socialiste (PS) ein Debattenbeitrag. Warum, so die Frage der vorliegenden Arbeit, ist es der PS nicht gelungen, sich seit ihrer Neugründung im Jahr 1971 bis zum Referendum über den Europäischen Verfassungsvertrag im Jahr 2005 ohne Widersprüche zu europäisieren? Innerhalb der französischen politischen Parteien bestand über die Ausrichtung des Europäischen Integrationsprozesses niemals ein Konsens. Die PS bestimmte ihre europapolitische Position in Abhängigkeit von inner- und zwischenparteilichen Konflikten. Darüber hinaus wurde der Aufstieg der Front National seit 1984 zum Ausdruck einer neuen Konfliktlinie in der französischen Gesellschaft. Entlang dieser Konfliktlinie spaltete sie sich in diejenigen, die sich äußeren Einflüssen öffnen bzw. verschließen wollten. Der PS wurde in den 1990er Jahren bewusst, dass sie sich mit ihrer (Europa-)Politik von den sogenannten classes populaires und ihren Ängsten vor Europäisierung und Globalisierung entfernt hatte. Auch wenn sich die Partei einig war, dass die Europäische Union nicht die Hoffnungen auf Wachstum und Vollbeschäftigung erfüllt hatte, so konnte sie doch keine gemeinsame Linie für eine Neuausrichtung des Integrationsprozesses finden. Die ersten beiden Kapitel der Arbeit behandeln die Europäisierung von politischen Parteien aus der Sicht der europäischen Integrationstheorien und der Parteienforschung. Deutlich wird, dass das Fortschreiten des Europäischen Integrationsprozesses ab den 1980er Jahren zu einem Gegenstand der politischen Auseinandersetzung geworden ist. Die Parteienforschung zeigt jedoch, dass die Wahrnehmungsmuster der Parteien unterschiedlichen Logiken folgen. Konstruktivistische und rationalistische Erklärungen können helfen, die Wahrnehmung und Reaktion politischer Parteien nachzuvollziehen. Ausgangspunkt der Analyse ist zunächst eine Untersuchung der historischen Identität der PS. Anschließend wird die Europäisierung der Partei von 1971 bis 2005 innerhalb von sechs Zeitabschnitten systematisch untersucht. Analysiert werden der Einfluss der Europäischen Integration auf Programmatik, Parteienwettbewerb, Organisation und transnationale Beziehungen der PS. Hierfür wurden Interviews mit ehemaligen und aktuellen Mitgliedern des Parteivorstands der PS aus dem Bereich Internationale Beziehungen und Europäische Fragen, mit Europaabgeordneten, dem Generalsekretär der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE), mit Wissenschaftlern und Experten sowie mit einigen wenigen Vertretern der rechten Parteien geführt. Ferner basiert die Analyse auf Recherchen in den Parteiarchiven der PS, das heißt der Fondation Jean-Jaurès und dem Office Universitaire de Recherche Socialiste. Die Analyse zeigt, dass die Programmatik der Partei sich seit 1971 europäisiert hat. Auch beeinflusste die Europäische Integration den französischen Parteienwettbewerb – allerdings in indirekter Weise, indem sie beispielsweise den nationalen Handlungsspielraum für Regierungsparteien zunehmend einschränkte. Hinsichtlich der parteipolitischen Organisation konnten in den ohnehin schwach organisierten französischen Parteien nur wenige dauerhafte Effekte der Europäisierung nachgewiesen werden. Im Bereich der transnationalen Beziehungen der PS wurde eine Europäisierung insbesondere mit Gründung der SPE festgestellt. Auch wenn der Zugang zur SPE vor allem der Parteiführung vorbehalten blieb, bildete die SPE doch eine neue Referenz für die (nationale) Politikgestaltung. Fragt man nach der Tragweite der parteipolitischen Europäisierung, so wird deutlich, dass sie sehr fragil geblieben ist. Sie unterlag inner- und zwischenparteilichen Konflikten und die Debatte wurde im Streitfall über Formelkompromisse oder mit der Autorität des langjährigen sozialistischen Staatspräsidenten François Mitterrand zu Ende geführt. Die wachsende Kritik an den Auswirkungen von Europäisierung und Globalisierung in den 1990er Jahren zwang die Parteien jedoch zur Reaktion. Ihnen wurde vorgeworfen, ihre politische Gestaltungskraft internationalen Verpflichtungen geopfert zu haben, die sie selbst eingegangen waren. Eine konsequente Europäisierung hätte eine mögliche parteipolitische Antwort auf die wachsende Kritik sein können. Nachdem der sozialistische Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen 2002 dem rechtsextremen Jean-Marie Le Pen im ersten Wahlgang unterlegen war, forderte die Partei in der Tat eine Neuausrichtung ihres europapolitischen Kurses. Es gelang der Partei jedoch nicht, einen Mittelweg zwischen einer Reform der bestehenden Europäischen Union und einem radikalen Wandel zu finden. In der Konsequenz spaltete sich die Partei 2005 über das Referendum zum Europäischen Verfassungsvertrag.show moreshow less
  • English Version: « Notre parti doit se réconcilier résolument avec le thème européen, qu’il a trop longtemps maintenu sous embargo » summarized two party members of the French Socialist Party at the party assembly in 2003 the core failing of their party’s Europeanization. Why was the PS not able to drive its Europeanization between its foundation in 1971 and the French referendum on the European Constitution Treaty in 2005? French parties always quarreled about the European integration. The PS derived its position on European Integration mostly from its various internal factions and tactical considerations in order to build alliances for the upcoming elections. Besides that, the rise of the “Front National” lead to a new cleavage tearing the French society. Parts of it were willing to open up to foreign influences, while others declined these developments and encapsulated in national perspectives. In the eyes of the PS the new cleavages in society lead to an estrangement from its middle and lower class voters. They unanimously saw,English Version: « Notre parti doit se réconcilier résolument avec le thème européen, qu’il a trop longtemps maintenu sous embargo » summarized two party members of the French Socialist Party at the party assembly in 2003 the core failing of their party’s Europeanization. Why was the PS not able to drive its Europeanization between its foundation in 1971 and the French referendum on the European Constitution Treaty in 2005? French parties always quarreled about the European integration. The PS derived its position on European Integration mostly from its various internal factions and tactical considerations in order to build alliances for the upcoming elections. Besides that, the rise of the “Front National” lead to a new cleavage tearing the French society. Parts of it were willing to open up to foreign influences, while others declined these developments and encapsulated in national perspectives. In the eyes of the PS the new cleavages in society lead to an estrangement from its middle and lower class voters. They unanimously saw, that the European Integration failed to address the hopes for economic growth and employment, but they did not agree on the conditions to continue to support the European Integration. The two first chapters of the thesis deal with the Europeanization of political parties reflecting theories on integration and political parties. The third chapter analyses the identity of the PS based on its history. The fourth chapter treats the Europeanization of the PS between 1971 and 2005 and puts a focus on its program, the campaigning for elections, its party organization and the foreign relations in Europe. The analysis is based on interviews and research in archives. Version française : « Notre parti doit se réconcilier résolument avec le thème européen, qu’il a trop longtemps maintenu sous embargo », constate une contribution au congrès du Parti socialiste (PS) en 2003. Pourquoi le PS n’a-t-il pas pu s’européaniser sans complexe depuis sa refondation en 1971 jusqu’au référendum sur le Traité constitutionnel européen en 2005 ? Au sein des partis politiques français, l’intégration européenne n’a jamais fait l’objet d’un consensus. Le PS a défini sa position européenne en fonction des rivalités de courants politiques internes et par rapport à ses alliés au sein du système des partis. De plus, l’ascension du Front national depuis 1984 a introduit une nouvelle ligne de clivage dans la société française. Elle l’a divisée entre une société prête à s’ouvrir sur l’extérieur et une société fermée qui se repli sur elle-même. Le PS s’est rendu compte que cette fracture l’avait éloigné des classes populaires. S’il y a bien unanimité dans le parti pour constater que l’intégration européenne n’a pas répondu aux espoirs de croissance et de plein emploi, les socialistes ne se sont pas mis d’accord sur les conditions du maintien de leur soutien à la construction européenne. Les deux premiers chapitres de la thèse traitent de l’européanisation des partis politiques dans le cadre des théories de l’intégration européenne et des partis politiques. Le troisième chapitre étudie l’identité du PS à travers son développement historique. Le quatrième chapitre analyse l’européanisation du parti de 1971 à 2005, en se focalisation sur le programme, la compétition électorale, l’organisation et les relations transnationales en Europe. L’analyse se fonde sur des interviews et des recherches dans les archives du PS.show moreshow less

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Metadaten
Author:Rüther, Christina
URN:urn:nbn:de:bvb:824-opus-769
Advisor:Prof. Dr. Schubert, Klaus
Document Type:Doctoral thesis
Language of publication:German
Online publication date:2010/02/25
Publishing Institution:Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Awarding Institution:Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, Geschichts- und Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät
Date of final examination:2009/07/27
Release Date:2010/02/25
Tag:European Elections; European Integration; Europeanization; France; French Socialist Party; Political Party
GND Keyword:Frankreich; Partei; Europawahl; Parti Socialiste; Europäisierung; Europäische Integration
Faculty:Geschichts- und Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät / Politikwissenschaft
Dewey Decimal Classification:3 Sozialwissenschaften / 32 Politikwissenschaft / 320 Politikwissenschaft
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